Autopionier Joseph Wyss aus Büron und die Automobilfabrik Berna Ausgabe August 2018
Joseph Wyss wurde als Sohn des Josef Franz Heinrich Wyss und der Johanna Arnold am 5. Januar 1868 in Büron geboren. Der Vater Josef Franz Heinrich Wyss (geb. 2.Jan. 1828) seinerseits stammte von Heinrich Wyss und Anna Amberg ab. Der Kunstschlosser und Autopionier Joseph Wyss stellte 1902 einen Vis-à-vis und 1903 eine Voiturette vor, die er beide nach seinem neuen Wohnort benannte: Berna. 1904 kaufte er eine konkursite Fabrik in Olten und gründete dort die J. Wyss, Schweizerische Automobilfabrik Berna aus der 1906 die Motorenwerke Berna AG hervorging.
Es folgten turbulente Jahre: Austritt von Joseph Wyss 1907 nach Auseinandersetzungen mit der Belegschaft und Kapitalgebern, Liquidation und Übernahme durch eine englische Finanzgruppe 1908 (Berna Commercial Motors Ltd), danach wieder die Übernahme durch eine Schweizer Finanzgruppe und Umwandlung in die Motorenwagenfabrik Berna 1912, vollständige Konzentration auf den Nutzfahrzeugbau und, 1914 vorübergehende kurze Schliessung des Oltener Werks. Die unmittelbare und grosse Nachfrage nach Armeelastwagen während des 1. Weltkrieges aus dem In- und Ausland schliesslich brachte den Aufschwung. Der 3½-Tönner C2 wurde zwischen 1914 und 1917 in grossen Stückzahlen an die schweizerische Armee geliefert, gleichzeitig bestanden Lizenzfabrikationen in England (British Berna), Österreich (Perl), Ungarn und Deutschland (Krauss). 1916 übernahm BERNA ausserdem die Konstruktionen der Motorfahrzeugfabrik Franz in Zürich (Franz Brozincevic) und rundete damit ihr Programm mit leichteren Fahrzeugen ab. Berna beschäftigte nach Kriegsende 500 Mitarbeitende.
1914-17: Militärlastwagen BERNA C2
In den Zwanzigerjahren führte BERNA seine erfolgreichen Entwicklungen weiter. Unter anderem entstand auch ein traktorartiger Schlepper, der in der Schweizer Armee als Zugfahrzeug im unwegsamen Gelände verwendet wurde. Charakteristisches Merkmal der schweren BERNA Wagen blieb bis in die Dreissigerjahre die BERNA-Ritzelachse, die als besonders einfach und robust galt. Dank einer eigenen Kipphydraulik waren BERNA Wagen bereits in den frühen Zwanzigerjahren beliebte Baustellenfahrzeuge. Die ersten BERNA-Motoren hatten zwei Zylinder. In den Zehner- und Zwanzigerjahren dienten verschiedene hauseigene 4-Zylinder-Benzinmotoren für die Lastwagen und Autobusse.
Alfred Waldis, ehemaliger Direktor des Verkehrshaus Luzern, schreibt zu den Anfängen des Berna Fahrzeugbaus in der „Neue Zürcher Zeitung“ vom 13.06.2002:
«Die erste Automobilfahrt auf Gurten Kulm hat J. Wyss, Automobilfabrikant in Bern, letzten Freitag - 13. Juni - nachmittags in 23 Minuten von Bern aus ausgeführt, obwohl Steigungen von 15 bis 30 Prozent zu überwinden waren und die denkbar schlechtesten Strassenverhältnisse sich boten. Die Rückfahrt wurde im gleichen Zeitraum ohne Unfall zurückgelegt. Das in Wabern versammelte Publikum folgte mit grossem Interesse dieser Erstlingsfahrt. Mit dieser Fahrt hat die Automobilwagenfabrik J. Wyss eine neue Probe ihrer Leistungsfähigkeit abgelegt. Wir machen sowohl Private wie Verwaltungen, die im Begriff sind, Automobilwagen anzuschaffen, auf unsere einheimische Industrie aufmerksam», war im «Berner Tagblatt» vom 17. Juni 1902 zu lesen. Dass diese Fahrt Aufsehen erregte, ist auf den damaligen Seltenheitswert der Automobile zurückzuführen. So zählte man im Jahr 1900 in der Schweiz lediglich 176 Personenwagen, 1914 waren es 5350, davon ein Drittel schweizerischer Herkunft. Schon vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges mussten die meisten einheimischen Hersteller -in der Blütezeit gegen 30 kleinere und grössere Betriebe- den Bau von Automobilen einstellen. Nur wenige konnten nach Kriegsende die Produktion weiterführen; 1922 gaben auch Pic-Pic und 1934 Martini -die beiden bekanntesten Schweizer Personenwagenmarken- die Fabrikation auf.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann man auch in der Schweiz mit der Herstellung von Personenwagen. In Bern war es der 1868 im luzernischen Büron geborene Joseph Wyss, der seit 1895 am Stockernweg eine Kunstschlosserei betrieb. Wie viele aufgeschlossene Handwerker jener Zeit interessierte er sich für das neue Transportmittel. Eine Besichtigung der 1900 an der Weltausstellung in Paris gezeigten Personenwagen vermittelte ihm Einblicke in den Stand der damaligen Automobiltechnik, wobei ihn eine «Voiturette vis- à-vis» von de Dion Bouton besonders beeindruckte. Wyss entschloss sich zum Bau von eigenen Automobilen. Als Werkführer in seinem Schlossereibetrieb sicherte er sich die Mitarbeit von Charles Egg, der früher bei de Dion Bouton, einer der berühmtesten Automobilfabriken Frankreichs, tätig gewesen war. Dessen Erfahrung und das französische Vorbild fanden denn auch ihren Niederschlag in den Konstruktionen von Wyss, die unverkennbar die Merkmale der de Dion Bouton-Wagen trugen.
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«Berna, die glänzendste Errungenschaft der Motorwagentechnik, unerreicht an Einfachheit! Leichteste Handhabung und grosse Leistungsfähigkeit. Das Auto Berna hat weder Ketten, Riemen, Universalgelenke noch Vorgelege, sondern ganze Transmissionen, daher das Ideal der Neuzeit», versprach der von Wyss 1902 herausgegebene Katalog für seine drei im selben Jahr gebauten und nach dem Herstellungsort mit dem Namen Berna, sowie als Typ “Ideal“ bezeichneten Wagen. Am 13. Juni unternahm er, ohne vorhergehende Erprobung und direkt von seiner Werkstätte aus, die eingangs erwähnte Fahrt auf Gurten Kulm. »
Dieses Foto zeigt drei Berna «Vis-à-vis» auf dem Gurten im Sommer 1902
Der Berna Ideal vis-a-vis von 1902
Berna Lastwagen Typ C2 von 1908
Berna Reisebus
Lastwagen Typ G5 von 1930
Lastwagen der Brauerei Felsenau von 1920
Armeelastwagen Typ 2VM von 1960
Zwei von diesen drei Vis-à-vis Wagen sind der Nachwelt erhalten geblieben; einer ist im Historischen Museum in Olten, der andere im Verkehrshaus in Luzern ausgestellt. Letzterer besitzt einen im Fahrzeugheck eingebauten, wassergekühlten Ein-Zylinder-Motor von 785 cm3 Hubraum und einer Leistung von 5,3 PS. Motor, Zweiganggetriebe und Differenzialgetriebe sind als Blockeinheit mit dem Wagenrahmen verschraubt. Die Kraft wird dabei über das mit der Hinterachse fest verbundene und mit zwei Stirnrädern versehene Getriebe direkt auf die beiden Antriebswellen übertragen; jene werden mittels eines Hebels an der Lenksäule verschoben, womit, je nach der Stellung, der 1. oder der 2. Gang eingelegt wird. Diese Lösung macht ein Kupplungspedal überflüssig. Der 500 kg schwere Wagen bietet drei bis vier einander gegenübersitzenden Personen Platz, daher wird er auch Typ «vis-à-vis» genannt, und erreicht im 1. Gang eine Geschwindigkeit von l2 km/h, im 2. Gang eine solche von 38 km/h. Ein Rückwärtsgang ist nicht vorhanden, wegen, wie es im Katalog heisst, «des komplizierten Mechanismus und eventuell falschen Manipulierens, da der Wagen mit Leichtigkeit auf der Strasse gekehrt wird». Der mit einer Karosserie der Firma Geissberger aus Zürich versehene „Ideal“ kostete 4600 Franken.
Die Empfehlung des Berner Tagblattes, Berna-Personenwagen vom Typ Ideal anzuschaffen, hatte offensichtlich wenig Wirkung, denn Wyss baute im folgenden Jahr 1903 nur ein Modell mit einem vorn eingebauten, stärkeren Motor. Einige der insgesamt neun Exemplare des als Unicum bezeichneten Wagens wurden nach England verkauft.
1929 übernahm Adolph Saurer, Arbon, die Aktienmehrheit an Berna und bis 1939 war die Angleichung der Berna an die Saurer Fahrzeuge abgeschlossen.
Bei den schweren Fahrzeugen gelangten mehr und mehr SAURER-Komponenten, insbesondere Dieselmotoren, zur Anwendung. Mit dem Ausbruch des 2. Weltkrieges wurden die Typenprogramme von BERNA und SAURER vereinheitlicht; die BERNA-Wagen wurden zu den “U-Typen”, analog zu SAURER's “C-Typen”. Dank der engen Zusammenarbeit mit dem Hersteller der Imbert- Holzgasanlagen rüstete BERNA während den Kriegsjahren zahlreiche Neu- und Umbaufahrzeuge damit aus.
Vom wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Krieg konnte BERNA zusammen mit SAURER profitieren. Einerseits wurden weiterhin ganze Fahrzeuge in Olten produziert und montiert, andererseits herrschte ein reger Austausch von Teilen, Komponenten und ganzen Fahrzeugen zwischen den beiden Produktionsstandorten Olten und Arbon. BERNAS's Typenprogramm war identisch mit demjenigen von SAURER. 1951 begann ausserdem bei BERNA auch die Montage der leichten OM-Lieferwagen, deren Motoren auf einer SAURER-Entwicklung beruhten.
In den Sechzigerjahren wurde die V-Generation (analog zu SAURER's D-Generation) eingeführt, deren Weiterentwicklung zusammen mit den entsprechenden SAURER-Fahrzeugen kontinuierlich voranschritt. Es standen Front- und Normallenker von 12 bis 16 Tonnen im Programm. Die Normallenker waren auch als Allrad-Fahrzeuge erhältlich. Fahrzeuge des italienischen Herstellers OM, die von BERNA und SAURER vertrieben wurden, rundeten das Typenprogramm nach unten ab.
1971 wurden die beiden bis anhin getrennten Verkaufsorganisationen von SAURER und BERNA zusammengelegt und neu organisiert.
Gegen Ende der Siebzigerjahre zierte immer seltener ein BERNA-Emblem die Frontpartie eines SAURER/BERNA-Fahrzeuges. 1982 gingen BERNA's Aktivitäten im Fahrzeugbau zusammen mit denjenigen von SAURER in die von Mercedes-Benz gegründete Nutzfahrzeuggesellschaft Arbon und Wetzikon (NAW) über. Wie dieser neue Name bereits antönt, wurde der Fahrzeugbau in Olten damit vollständig aufgegeben.
Die Käufer von Saurer-Nutzfahrzeugen konnten allerdings bis ins Jahr 1982 noch als Option jeden Typ auf Wunsch mit dem Bären-Signet und Berna-Schriftzug bestellen
Die Entwicklung der Berna/Saurer Gruppe steht stellvertretend für so viele Schweizer Firmen, welche ihren Ursprung im Pioniergeist des 19. Jahrhunderts hatten und ihr Ende in der Globalisierungs- und Fusionseuphorie der Jahrtausendwende fanden:
1987 wurde das letzte Fahrzeug an die Schweizer Armee ausgeliefert. Unter einem neuen Besitzer aus Japan stellte der ehemalige Nutzfahrzeugbauer nun Strickmaschinen her. Die Japaner verkauften Saurer an die Oerlikon Gruppe des Viktor Felixowitsch Vekselberg welcher den Textilbereich wiederum an die chinesische Jinsheng- Gruppe verkaufte.
J. Wyss betätigte sich nach seinem Rückzug aus der Berna Geschäftsleitung im Ausland unter anderem als Konstrukteur von Motoren und Apparaten, kehrte 1928 in die Schweiz zurück und starb 1956 in Zürich. Quellennachweis: Saurer Club Schweiz V.S. 2018