Abt-Bischof Gallus Steiger Ausgabe Oktober 2019
Wer in Büron von der Kirche her kommend ins Dorf hinab läuft, geht auf der Gallus Steigerstrasse. Namensgeber dieser Strasse ist eine äusserst interessante Persönlichkeit mit Wurzeln in Büron: Bernhard Steiger.
Am 27. März 1879 wurde Bernhard Steiger zusammen mit seiner Schwester Emma auf dem Bauernhof im „Chilefeld“ oberhalb des Dorfes als Zwilling geboren. Seine Eltern waren der Viehhändler Johann Josef Anton Steiger und Maria, eine geborene Wüest (Buttis). Zwillinge zu bekommen war in der Familie üblich, denn schon seine älteren Geschwister Marie und Rosa (geb. 1867) und Hans und Josef (geb. 1869) waren gleichzeitig Geborene.
Der junge Bernhard besuchte die Primarschule in Büron, welche sich zu jener Zeit noch im Unterdorf, nämlich hinter dem „Treffponkt“, befand. Der Dorfpfarrer Jakob Scherer erkannte wohl schon früh in ihm eine Berufung. So brachte er ihm die ersten lateinischen Wörter bei und ermunterte ihn, höhere Schulen zu besuchen. Pfarrer Scherer blieb bis zu seinem Tod im Jahre 1933 mit Bernhard Steiger als spiritueller Führer verbunden.
Das Bauernhaus im Kirchfeld Büron, so wie es sich heute präsentiert.
Nach dem Besuch der „Mittelschulen“ in Sursee und Beromünster wechselte er an das Stiftsgymnasium des Klosters in Einsiedeln und machte dort 1901 die Matura. Durch Kontakte zu den späteren Patres Johannes Häfliger (1870–1955) und speziell zu Andreas Amrhein aus Gunzwil (1844–1927) reifte in ihm der Wunsch, ebenfalls Mönch und Missionar zu werden. Er schrieb nach Hause und teilte seiner Familie seine Absichten mit. Dort war man nicht gerade begeistert und es dauerte nicht lange bis eine Abordnung in Einsiedeln eintraf, den jungen Mann umzustimmen. Hiervon ist folgende Geschichte überliefert. Seine Zwillingsschwester Emma führte das Wort und verlangte von Bernhard seine Missionsgedanken aufzugeben. Anwesend war auch der damalige Präfekt Bernhard Benziger. Dieser hörte sich „den Zorn der Götter“ eine Weile an und sagte dann ruhig:
“Zuerst wird Bernhard ins Kloster gehen, und dann gehst du. Dann wird Bernhard nach Afrika gehen und dann du. Dann fressen dich die Löwen, und später wird Bernhard gefressen!“ Alle lachten, mussten aber unverrichteter Dinge heimreisen. Bernhard Steiger war nicht umzustimmen.
Kloster Einsiedeln
St. Ottilien
Er bewarb sich in St. Ottilien (Oberbayern), wo bereits erwähnter P. Andreas Amrhein 1887 eine Missionsgruppe gegründet hatte, und trat dort trotz Bedenken seiner Eltern ins Kloster ein. Nach den Klosterregeln legte er seinen weltlichen Namen ab und nannte sich fortan nach dem Büroner Kirchenpatron „Gallus“. Zehn Jahre später tat es seine Schwester Emma ihm gleich und trat ins Kloster der Missions-Benediktinerinnen in Tutzing bei München ein. Somit war die wohl nicht ganz ernst gemeinte Prophezeiung des Einsiedler Präfekten erfüllt.
Nach dreijährigem Theologiestudium in München wurde er am 23. Juli 1905 zum Priester geweiht und feierte darauf im August in Büron seine hl. Primiz (erste Messe vor der Gemeinde). Nach der Rückkehr nach St. Ottilien erfuhr er von der Ermordung des Bischofs Cassian Spiss und mehrerer seiner Mitarbeiter in Deutsch-Ostafrika (heute das Gebiet von Tansania, Burundi und Ruanda umfassend). In dieser Region, welche von den blutigen Maji Maji Aufständen gezeichnet war, sollte er später als Missionar tätig werden. Erst aber wurde er nach St. Ludwig bei Schweinfurt gesandt. Am 4. Juli 1906 erhielt er schliesslich das Missionskreuz und reiste mit einigen Mitbrüdern nach Dar–es–Salaam. Dort angekommen sorgten sich seine Vorgesetzten um ihn wegen seiner mageren und fragilen Erscheinung und gaben ihm die Anweisung, einmal pro Woche ein Gramm Chinin zu schlucken, was er dann auch sein ganzes Leben hindurch tat.
Gallus Steiger bei seiner Ankunft in Dar–es–Salaam (rechts vorne)
Seine erste Missionarsstation war Kwiro in der Diözese von Mahenge. Dank seiner Neigung für den schulischen Unterricht gründete er dort 14 Schulen, liess Lehrer und Katecheten ausbilden und brachte innert kurzer Zeit das Schulwesen auf Vordermann. Dies beindruckte seinen Bischof so sehr, dass er ihn 1908 als Prior nach Lukuledi, der ältesten Benediktinerstation ausserhalb von Dar-es-Saalam berief. Die Station war während des Krieges völlig zerstört worden und die Missionare lebten dort in Ruinen. In den folgenden eineinhalb Jahren wurde die Station unter der Leitung von Bruder Gallus wieder aufgebaut.
1922 wurde er nach Peramiho, Teil der neuen Apostolischen Präfektur Lindi, geschickt.
Unter der Leitung des „Apostolischen Präfekten von Lindi“ Pater Gallus Steiger entstand eine neue, zwar noch kleine Abteikirche von Peramiho. Geplant und gebaut durch ausgebildete Klosterbrüder.
Viele Benediktinerbrüder waren gute Bauleute und brachten der einheimischen Bevölkerung diese Handwerkskünste bei. In den Berufen wie Maurer, Schreiner, Schlosser, Dachdecker usw. bildeten sie Lehrlinge aus. Auch die landwirtschaftlichen Arbeiten wurden intensiviert. Geldspenden aus der Heimat ermöglichten die Anschaffung von Werkzeug und Gerät. Hierbei war ihm der Büroner Dorfpfarrer Jakob Scherer sehr behilflich.
So kam allmählich Struktur in die Region. Neue Schulen, Lehrer- und Priesterseminare entstanden, Spitäler wurden errichtet und vielen Menschen konnte geholfen werden. Für die Schüler wurden über 20‘000 Schiefertafeln aus der Schweiz geschickt, sowie Rechtschreibebücher und Kinderbibeln in Swahili gedruckt.
Nach dem ersten Weltkrieg hatte Grossbritannien die Kontrolle über das ehemalige „Deutsch Ostafrika“ übernommen und dies führte zu wachsenden Spannungen. Sie verboten die Neugründungen von Schulen und dämmten den deutschen Einfluss ein. Schliesslich wurden 1926 gar die deutschen Missionare des Landes verwiesen. Dies war auch der Zeitpunkt, da Pater Gallus zum ersten Mal nach 20 Jahren wieder in die Heimat kam.
Pater Gallus Steiger 1926
Er reiste nach Uznach, wo sich die Schweizer Niederlassung des Klosters St. Ottilien befand.
In zahlreichen Vorträgen zeigte er die Bedürfnisse in Afrika auf und sammelte Spendengelder.
Auch musste er wiederholt nach London reisen, um dort mit den zuständigen Behörden zu sprechen. Dank seines Verhandlungsgeschickes und seines einnehmenden Wesens kehrte er stets erfolgreich zurück.
1928 wurde Gallus Steiger die Würde des „Abtes von Lindi“ zuteil. Zur Abtweihe in St. Ottilien reisten zahlreiche Verwandte und Wohltäter aus der Schweiz an. Am 16. Oktober 1928 feierte er in der Büroner St. Gallus Kirche ein Pontifikalamt (Hochamt). Während dieser Tage musste er den Tod seiner beiden an Krebs gestorbenen Geschwister Josef Steiger (Chapf) und Maria Lütolf (Birrenmoos) hinnehmen. Nach vielen Besuchen und Vorträgen reiste er Ende 1928 zurück nach Peramiho. Diese zahlreichen Schiffsreisen gingen jeweils von Genua aus. Danach ging die Fahrt durch das Mittelmeer, den Suez Kanal, entlang der Ostküste Afrikas bis nach Dar-es-Salaam.
Gallus Steiger als Abt und als Abt-Bischof
1934 wurde die Abtei Peramiho zur Bischofsabtei erhoben und Abt Gallus wurde zum Bischof ernannt. Zur Zeremonie reiste er nach Einsiedeln, wo er am 1.Juli die Bischofsweihe empfing.
In den folgenden Jahren wuchs die Verantwortung und mit ihr folgten erneut zahlreiche Reisen nach Europa; immer wieder nach London und Rom, in die Schweiz und nach Deutschland.
Vorausschauend hatte er die aufziehenden dunklen Wolken des nahen 2. Weltkrieges richtig interpretiert und Vorkehrungen für die Tansaniamission getroffen. Um der Gefahr von Repressalien durch die englische Verwaltung vorzubeugen, wies er die Missionare– viele darunter waren inzwischen wieder Deutsche– an, die Anordnungen der Obrigkeit strikte zu befolgen. Und als 1937 die Krönung von König Georg VI in Südwest-Tansania gefeiert wurde, war seine Mission verantwortlich für die Programmgestaltung. Auf diese Weise glätte er manch raue Wogen und schuf viel Goodwill auf englischer Seite.
Auch stellte er sicher, dass innerhalb des Missionsklosters keinerlei Sympathien mit dem Naziregime aufkamen oder gar geäussert wurden. Zwar war das Nazideutschland ein erklärter Gegner des Katholizismus, aber speziell unter den jüngeren Mönchen konnte wegen der ersten Blitzsiege der Deutschen leicht eine Begeisterung für die neue Ideologie aufkommen.
Dass diese Gefahr der politischen Anteilnahme realistisch war, zeigten andere Missionen in Tansania. Speziell die Lutheraner liessen sich beeinflussen und missbrauchen.
Während der Kriegszeit war natürlich nicht an die Ausweitung der Missionsarbeit zu denken, zu sehr war man mit dem Überleben beschäftigt. Trotzdem war die Stellung des Klosters gefestigt und die Zahl der katholischen Bevölkerung stieg stetig. Als der englische Generalgouverneur Sir W. Jackson 1943 Peramiho besuchte, glich dies einer Ehrung und Anerkennung der Leistungen von Abt-Bischof Gallus Steiger. In harten Verhandlungen verhinderte er, dass die deutschen Missionare erneut ausgewiesen wurden. 1945 konnte er zufrieden zurückschauen: Er hatte seine Tansaniamission sicher durch die Kriegswirren manövriert.
Bereits 1943 hatten die ersten Arbeiten zum Neubau einer neuen grossen Kirche in Peramiho begonnen. Unter Steigers Leitung wurden am 24.11.1945 die letzten Dachziegel verlegt. 3 Millionen selber gebrannte Ziegel wurden vermauert und 120‘000 handgemachte Dachpfannen verlegt. Eine gewaltige Leistung, welche dort im fernen Afrika und noch dazu während der Kriegszeit vollbracht worden ist.
Abt-Bischof Gallus überwacht die Arbeiten
Die Klosteranlage von Peramiho heute
1948 wurde der Bau auch im Innern vollendet. Aus der Schweiz waren fünf neue Glocken angeliefert worden, die Schulorgel von Peramiho wurde umgesiedelt und die neue Kirche eingeweiht: mit 86m Länge, 16m Breite, 28m Höhe und zwei Türmen ein stattlicher Neubau.
1950 machte er mittlerweile 71-jährig eine Pilgerreise nach Rom und hatte dort eine Privataudienz bei Papst Pius XII. Anschliessend besuchte er noch einmal Büron, bevor er über St. Ottilien wieder nach Afrika zurückkehrte. Die letzten Lebensjahre verbrachte Gallus Steiger mit Schreib- und Büroarbeit. 1952 übergab er sämtliche Amtsgeschäfte an seinen Nachfolger Abt-Bischof Eberhard Spiess. Doch auch in dieser Zeit ruhte er nicht und unternahm immer wieder Besuche in die entlegenen Gebiete, um die Menschen dort im katholischen Glauben zu festigen.
Eines der letzten Bilder von Abt-Bischof Gallus bei einer Bestätigungstour in Tansania
Des Öfteren traf er seine Zwillingsschwester Emma, die ihn einst von seiner Berufung hatte abbringen wollen. Sie hatte im Kloster Tutzing den Namen „Maria Epiphania“ angenommen. Während des 1. Weltkrieges hatte sie in Feldlazaretten verwundete Soldaten gepflegt, was sie sehr belastete. 1922 wurde in Peramiho ein Schwesternkloster gegründet. Freudig folgte sie dem Ruf ihres Bruders und zog ebenfalls nach Tansania. Sie stand dem Kloster als Oberin vor und führte die Klosterregeln des hl. Benedikt ein, die da heissen:„Bete und arbeite“!
Auch Sr. Epiphania leistete zeitlebens überdurchschnittliche Arbeit. Die ihr unterstellten Mädchen und Frauen wurden in der Kranken- und Kinderpflege, Haus- und Handarbeit ausgebildet.
Die Zwillinge Abt–Bischof Gallus Steiger und Sr. Epiphania anlässlich seines 50. Priesterjubiläum
Am 26.11.1966 im Alter von 87 Jahren hörte das Herz von Gallus Steiger auf zu schlagen. Seine Schwester war bei seinem Tod anwesend, hielt ihm die Hand und murmelte gut hörbar: „Mein Gott, was wird nun unsere Mutter sagen wenn sie sieht, dass es unser Junge ganz alleine nach oben geschafft hat“. Sr. Epiphania starb sechs Jahre später im Alter von 93 Jahren.
Beide sind in der Kathedrale von Peramiho begraben.
Im letzten Stadium seines Lebens verfolgte Bischof Gallus Steiger die Diskussionen und den Verlauf des 2.Vatikanischen Konzils, welches von 1962–1965 in Rom abgehalten wurde. Hier wurden tiefgreifende Änderungen für die katholische Kirche beschlossen, notwendige und fragwürdige. Unbestritten hat der Katholizismus seit dieser Zeit ein neues Gesicht erhalten.
Die Säkularisierung (Trennung von Staat und Kirche) hat auch zu einer Loslösung des Einzelnen von der Kirche geführt. Dies hat ein derart grosses Ausmass angenommen, dass man mittlerweile von einer „Entchristlichung“ Europas spricht. In diesem Zusammenhang kommt es seit geraumer Zeit zu einer „umgekehrten Missionierung“. Während es Anfang des letzten Jahrhunderts noch Europäer waren, die mit einem klaren Missionsgedanken nach Afrika oder Asien zogen, kommen unsere heutigen Priester vielfach aus eben diesen Kontinenten. Insofern war Abt Bischof Gallus Steiger auch ein Sämann, dessen Saat aufgegangen ist und nun Früchte trägt. V.S. 2019
Quellenangabe:
- Lambert Doerr, Abbot Bishop Gallus Steiger O.S.B.
Life and work of an outstanding missionary pioneer
EOS-Verlag 2014